Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte

2000 Jahre Musikgeschichte im Rheinland

Die Musikgeschichte des Rheinlands ist seit mehr als 2000 Jahren durch historische Quellen dokumentiert.

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Ferdinand Hiller (1811–1885): Komponist – Interpret – Musikvermittler

27.-29. Oktober 2011, Köln und Frankfurt
Internationales musikwissenschaftliches Symposium an der Hochschule für Musik und Tanz Köln

Zum Programmablauf

Ferdinand Hiller (1811–1885) zählte um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu den vielseitigsten, einflussreichsten und renommiertesten Künstlerpersönlichkeiten des deutschen und des internationalen Musiklebens. Sein sehr umfängliches kompositorisches Schaffen schließt Werke nahezu aller musikalischen Gattungen ein. Zudem wirkte er als Pianist, Dirigent, Konzertveranstalter, Professor, Konservatoriumsgründer und Musikschriftsteller. Hillers weitläufige Korrespondenz mit Komponisten, Dichtern, Gelehrten, Interpreten, Unternehmern und Verlegern vermittelt einen Eindruck seiner vielfältigen Tätigkeitsfelder, seiner Kommunikationsgabe und seiner europäischen Reputation. Anlässlich des 200. Geburtstages von Ferdinand Hiller veranstalten die Hochschule für Musik und Tanz Köln, das Musikwissenschaftliche Institut der Universität zu Köln und die Hochschule für Musik und darstellende Kunst Frankfurt/Main in Verbindung mit der Arbeitsgemeinschaft für Rheinische Musikgeschichte ein Internationales musikwissenschaftliches Symposium, das in zwei Abteilungen am 27. Oktober 2011 in Frankfurt/Main (dem Geburtsort Hillers) sowie am 28. und 29. Oktober 2011 in Köln (Hauptwirkungsstätte und Sterbeort) stattfinden wird. Begleitend hierzu werden an beiden Tagungsorten Konzerte und Ausstellungen stattfinden, um Hillers Wirken erstmals in einem größeren Rahmen darstellen zu können. Neben seinen Kompositionen sollen auch die weiteren Dimensionen seines künstlerischen, organisatorischen und publizistischen Wirkens in Deutschland, Frankreich und Italien erstmals wissenschaftlich untersucht und in ihren gesellschaftlichen und kulturpolitischen Zusammenhängen erörtert werden.

Als Sohn jüdischer Kaufleute 1811 in Frankfurt geboren und als musikalisches „Wunderkind“ in Weimar zum Klaviervirtuosen und Komponisten ausgebildet, wirkte Ferdinand Hiller von 1828 bis 1836 als freischaffender Künstler in Paris, wo er einflussreiche Förderer fand (u.a. Luigi Cherubini, Giacomo Meyerbeer und Gioachino Rossini) und enge Freundschaften u.a. mit Franz Liszt, Hector Berlioz und Fréderic Chopin schloss. Von 1837 bis 1842 lebte er in Italien und brachte 1839 an der Mailänder Scala seine Oper Romilda heraus, ehe er sich in Rom bei Giuseppe Baini dem Studium der klassischen Vokalpolyphonie zuwandte. 1843/44 übernahm er in Vertretung seines Freundes Felix Mendelssohn die Leitung des Leipziger Gewandhausorchesters und ließ sich danach in Dresden nieder, wo er eine erfolgreiche Konzertreihe begründete und in seinem Salon mit Robert und Clara Schumann, Richard Wagner und Michael Bakunin freundschaftlich verkehrte. Für die Nachfolge seiner Position als Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf (1847 bis 1850) empfahl er Schumann und ließ sich 1850 als Städtischer Kapellmeister und Direktor des Konservatoriums in Köln nieder. Als Leiter der Gürzenich-Konzerte und der Rheinischen Musikfeste verpflichtete er führende europäische Interpreten und erlangte auf seinen eigenen Konzertreisen als Dirigent und Pianist europäischen Ruhm. Nachdem sich Ende der 1850er Jahre in Weimar die sog. „Neudeutsche Schule“ als musikalische „Fortschrittspartei“ formiert hatte, sah man in dem vormals „progressiven“ Hiller nun einen besonders prominenten konservativen Gegenpol. Obwohl Hiller dank seiner breiten Künstlerkontakte und seiner auf Ausgleich bedachten Programmplanung der Polarisierung des deutschen Musiklebens entgegenzusteuern versuchte, wurde er zunehmend als Konservativer wahrgenommen, dessen Musik nach seinem Tod bald in Vergessenheit geriet und spätestens durch die nationalsozialistische Kulturpolitik vollständig aus den Konzertsälen verschwand.

Das bereits zu Lebzeiten publizierte kompositorische Werk Hillers (mit Opuszahlen 1–207) ist wissenschaftlich bislang kaum erforscht, und die meisten der in Frankfurt (Universitätsbibliothek) und Köln (Bibliothek der Hochschule für Musik und Tanz) handschriftlich nachgelassenen Werke harren noch immer ihrer Uraufführung. Eine entscheidende Grundlage für die Hiller-Forschung bildet die in sieben Bänden in den Jahren 1958 bis 1970 durch Reinhold Sietz (wenn auch nicht vollständig) veröffentlichte Korrespondenz. Die Bedeutung dieser Publikation wiegt umso mehr, als die Originalbriefe aus Hillers Nachlass seit dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs (2009) nicht mehr öffentlich zugänglich sind. Daher hat sich die bisherige Forschungen in erster Linie auf die Auswertung dieser Briefe beschränkt, vor allem in Hinblick auf Hillers engen Beziehungen zu anderen Künstlern wie Heine, Mendelssohn, Rossini, Verdi sowie Robert und Clara Schumann (vgl. SIETZ 1967, SIETZ 1968, MÜLLER 1992, KRAMER 1997, NIEMÖLLER 2002). Von einer auch nur ansatzweise erkennbaren Erschließung, Einordnung und Würdigung seines umfangreichen Werkes ist man noch weit entfernt. Abgesehen von Artikeln in den großen Musikenzyklopädien (MGG, NEW GROVE) fehlen eine größere Biographie ebenso wie Einzelstudien zu seiner Tätigkeit als Komponist, Virtuose und Musikschriftsteller, von einer Monographie ganz zu schweigen. Zu erwähnen sind lediglich eine ältere Dissertation (HERING 1928) und eine Monographie (HANKE 2008) zum Klavierschaffen, zwei weitere Publikationen zu einzelnen Klavierwerken (Mies 1975; STOELZEL 1990) sowie ein Beitrag zu seinen Dresdner Opern (HINRICHSEN 1995). Über Hillers übrige Opern sowie über seine Oratorien, Chormusik, Orchesterwerke und Kammermusik ist bislang keine einzige Studie erschienen.

Die Vorträge des zweigeteilten Symposiums werden sich auf insgesamt acht Bereiche verteilen. Die erste Sektion „Identität und Gesellschaft“ widmet sich der familiären Herkunft des Komponisten und seiner Sozialisation innerhalb der musikalischen Eliten im jüdischen Großbürgertum. Exemplarisch werden hierbei sowohl die engen Beziehungen der Familien Meyerbeer, Mendelssohn und Hiller als auch die Förderung Hillers durch Frankfurter Bankiersfamilien untersucht. Der Aufstieg des Frankfurter Bankhauses Rothschild und die Niederlassung Jakob Rothschilds in Paris (1812) wurden für den Werdegang Hillers insofern prägend, als dieser bereits siebzehnjährig im Pariser Salon Rothschilds Aufnahme fand und dort entscheidende gesellschaftliche und künstlerische Kontakte knüpfte. Zugleich traf er in Paris auf eine große Zahl aus Deutschland emigrierter jüdischer Künstler, Musiker und Literaten, die untereinander enge Netzwerke bildete. Dabei zeigte sich Hiller ebenso wie zahlreiche andere Pariser Komponisten dieser Zeit fasziniert von den gesellschaftlichen Ideen bzw. Utopien Henri de Saint-Simons, die auch für seine weitere künstlerische Entwicklung bedeutsam bleiben sollten.

Die eigentlichen publizistischen und kulturpolitischen Zusammenhänge, in denen Hiller aktiv tätig war bzw. gesehen wurde, werden in der Sektion „Musikästhetik, Publizistik, Politik“ zur Sprache gebracht. Dabei ist seine Rolle innerhalb des musikpublizistischen Diskurses um die „Neudeutsche Schule“ von besonderer Bedeutung, die zugleich im weiteren Kontext der Musikideologien um die Mitte des 19. Jahrhunderts gesehen werden kann. Insofern erweist sich die ursprünglich enge Freundschaft zwischen Hiller und Franz Liszt nun als kulturpolitische Fundamentalopposition im musikalischen Parteienstreit. Ähnlich wie im Falle Liszts sind die engen persönlichen Beziehungen Hillers zu anderen Komponisten seiner Zeit (Sektion 3) nicht nur durch Freundschaft, sondern auch durch Rivalitäten geprägt. Hector Berlioz hat sich über Hiller in seinen Schriften und publizistischen Arbeiten im Laufe der Jahre recht widersprüchlich geäußert. Die bereits in der Kindheit der beiden fast gleichaltrigen Komponisten Mendelssohn und Hiller geknüpfte Freundschaft trübte sich, als Hiller die Leipziger Position Mendelssohns vertrat. Hier bietet die im Entstehen befindliche kritische Ausgabe des Mendelssohn-Briefwechsels eine neue Quellengrundlage. Besonders ambivalent und von beiderseitigen publizistischen Manövern geprägt sind die Beziehungen zu Richard Wagner. Aufschlussreich hinsichtlich Hillers Rolle als Musikpädagoge ist das Verhältnis zu seinen Schülern, darunter insbesondere Max Bruch und Engelbert Humperdinck.

Hillers Kompositionen (Sektion 4) lassen sich in ihrer stilistischen Vielfalt auf dem derzeitigen Forschungsstand erst ansatzweise analytisch zuordnen. Als Symphoniker scheint er auf der Suche nach einem „dritten“ Weg zwischen der klassischen viersätzigen Form (die er hier im Unterschied zu seinen Kammermusikwerken vermied) und freien programmmusikalischen Lösungen gewesen zu sein, was eine Standortbestimmung im Gattungskontext des 19. Jahrhunderts erschwert. Klarer profiliert erscheinen die Form- und Satzstrukturen in seinen Klavierkonzerten, denen in seinem Gesamtwerk aufgrund der Personalunion des Komponisten, Pianisten und Dirigenten Hiller ein besonders hoher Stellenwert zukommt. Unter den Besetzungstypen der Kammermusik stehen eindeutig die Werke mit Klavier im Vordergrund, unter denen die Gattung des Klaviertrios bei Hiller die größte Ausstrahlungskraft erlangte. Für seine Liedkompositionen, unter denen einige im 19. Jahrhundert überaus populär waren, sind sowohl die zyklische Ordnung als auch die Verwendung volksliedhafter Elemente charakteristisch. Eine gattungsgeschichtliche Einordnung von Hillers Oratorien¬schaffen wird durch gänzlich unterschiedlich strukturierte Werke erschwert; bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass Robert Schumann als Oratorienkomponisten seiner Zeit neben Hiller nur noch Mendelssohn gelten ließ.

Hillers Wirken als Interpret und die performativen Dimensionen seines Schaffens sind Gegenstand der fünften Sektion (Interpretation, Virtuosität, Theatralität). Ein besonders gut dokumentiertes Fallbeispiel für die Entwicklung des Orchester- und Chordirigats im 19. Jahrhundert bildet die deutsche Erstaufführung von Giuseppe Verdis Requiem, die auf Einladung Hillers bei den Niederrheinischen Musikfesten in Köln 1877 erfolgte und in der Korrespondenz zwischen Hiller und Verdi wie auch in Berichten und Kritiken die unterschiedlichen Aufführungstraditionen reflektieren. Neben der zeitgenössischen widmete sich Hiller als Dirigent auch der „Alten Musik“, wie am Beispiel der Kölner Erstaufführung von Bachs Matthäus-Passion im Jahre 1859 erörtert werden soll. Im Paris der 1830er Jahre gehörte Hiller zu einer ganzen Phalanx von Klaviervirtuosen, die miteinander konkurrierten. Seine dort gewonnenen Erkenntnisse dürften auch die Interpretation und Klanggestalt seiner Klavierkonzerte beeinflusst haben. In diesem Kontext stellt Hillers „Operette ohne Text“ op. 106 ein besonders prägnantes Fallbeispiel für die Idee des Theaterhaften in der Instrumentalmusik des 19. Jahrhunderts dar.

Die abschließenden Sektionen beschäftigen sich mit den wesentlichen Stationen von Hillers Wirken: Frankfurt, Weimar, Paris, Mailand, Rom und Köln. Zunächst stehen die frühen Stationen Hillers – Frankfurt und Weimar – im Blickpunkt. Im kulturellen Umfeld Frankfurts, wo heute in der Universitätsbibliothek ein für die Hiller-Forschung bedeutender Quellenbestand liegt, vollzieht sich Hillers musikalische Sozialisation, zugleich entstehen die ersten Verbindungen zu wichtigen Institutionen des bürgerlichen Musiklebens. In Weimar studierte Hiller auf Empfehlung Mendelssohns bei Johann Nepomuk Hummel Komposition und ließ sich zum Klaviervirtuosen ausbilden. Hiller machte sich in Paris als Pianist und Dirigent einen Namen und knüpfte vielfältige gesellschaftliche und künstlerische Kontakte. Exemplarisch sollen vor allem seine Verbindungen zu den Pariser Musikinstitutionen, zu Franz Liszt und der französischen Romantik sowie seine gesellschaftliche Rolle als Klaviervirtuose untersucht werden. 1852 bis 1853 kehrte Hiller ein weiteres Mal nach Paris zurück, um als Dirigent die Leitung der Italienischen Oper zu übernehmen. In Italien komponierte er auf Vermittlung Rossinis für die Mailänder Scala die Oper Romilda, die in der Forschung bislang völlig unbeachtet geblieben ist. Bei seinem Romaufenthalt 1841 kam Hiller über den italienischen Musikhistoriker und Kirchenkomponisten Giuseppe Baini und den Musiksammler Fortunato Santini in Kontakt mit Werken der römischen Vokalpolyphonie des 15. und 16. Jahrhunderts. Ob Hiller sich primär aus wissenschaftlichem Interesse mit den Kirchenkomponisten der Vergangenheit beschäftigte, diese Musik im Rahmen der kirchenmusikalischen Restauration wieder in den Gottesdienst einführen wollte oder sie in seinen eigenen Kompositionen zu adaptieren suchte, wird dabei nachzugehen sein. Hillers Kölner Wirken umfasst vor allem die drei Bereiche des Kapellmeisteramtes, des Konservatoriums und der Niederrheinischen Musikfeste. Durch seine Programmwahl und Besetzungspolitik bei den Kölner Gürzenich-Konzerten sowie en Niederrheinischen Musikfesten konnte Hiller jahrzehntelang einen bedeutenden Einfluss im europäischen Konzertleben ausüben und zugleich Kölns Aufstieg zum Musikzentrum begründen. Das Konservatorium baute er nach dem Leipziger Vorbild Mendelssohns auf und setzte auch hier auf die Verpflichtung einer international renommierten Professorenschaft, die die Institution zu einer der führenden ihrer Art machten. Hillers Wirken bei den Niederrheinischen Musikfesten offenbart neben seinem bedeutenden Organisationstalent vor allem die Vielfalt seiner musikalischen Interessen im größeren Kontext des europäischen Historismus.

Insgesamt haben bislang rund dreißig Referentinnen und Referenten aus dem In- und Ausland ihre Teilnahme zugesagt. Die Veröffentlichung der Beiträge in Buchform ist für 2012 geplant.

Arnold Jacobshagen

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