Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte

2000 Jahre Musikgeschichte im Rheinland

Die Musikgeschichte des Rheinlands ist seit mehr als 2000 Jahren durch historische Quellen dokumentiert.

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Tagungsbericht: Beethoven und seine rheinischen Musikerkollegen, Bonn, 10.–12. Juni 2022

13 Referent’innen und ein ein ansehnliches Publikum fanden sich zu einer dreitägigen Tagung im Kammermusiksaal des Bonner Beethoven-Hauses zusammen, um aktuelle Forschungen zu den Musiker’innennetzwerken auszutauschen, in denen der junge Ludwig van Beethoven in Bonn groß wurde. Man kennt sie kaum, die Hofmusiker’innen des kurfürstlichen Hofes und die mit ihnen verbundenen Persönlichkeiten des Musiklebens jener Zeit. Bis heute stehen sie im Schatten Beethovens. Aber geforscht wird zu den Themen an vielen Orten – Wissenschaftler’innen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italiens, der USA und weiterer Länder fügten ihre Erkenntnisse zu einem eindrucksvollen Mosaik zusammen.

Die Tagung der Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte und des Beethoven- Hauses Bonn wurde vom Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Rheinland und der Kunststiftung NRW gefördert. Christine Siegert leitete die Tagung, unterstützt von Sabine Meine, Stephan Schulmeistrat und Robert v. Zahn.

Die erste Sektion, moderiert von Julia Ronge, Beethoven-Haus, widmete sich der Familie Beethoven in Bonn. Jürgen May, Beethoven-Haus Bonn, relativierte das negative Bild, das Biografen bis ins Beethoven-Jubiläum 2020 hinein von Beethovens Vater Johann zeichnen. Meist erscheint er als negatives Gegenbild zu Leopold Mozart und dessen geschickter Förderung und Präsentation seines Sohnes. War Johann van Beethoven wirklich ein Alkoholiker, der gewalttätig werden konnte, musikpädagogisch unfähig agierte, dafür aber an der Verwertung der Musikalität seines Sohnes interessiert war? Dieses Bild ist auf wenige
und eher magere Quellen gestützt. In seiner Bewertung der Quellen säte May erhebliche Zweifel an der Authentizität der Schilderungen, ohne gleich ein anderes Charakterbild des Vaters entwerfen zu wollen. Als Moderatorin nahm ihn Julia Ronge danach ins Zwiegespräch und bestätigte dessen These durch eigene Überlegungen. Indizien sprechen zum Beispiel dafür, dass der Alkoholismus erst spät, nach dem Tode von Beethovens Mutter, zum Problem wurde.

Leonardo Miucci, Hochschule der Künste Bern, spürte in direkten Vergleichen zwischen verschiedenen Werken Mozarts und den Klavierquartetten WoO 36 van Beethovens den Einflüssen Mozarts auf Beethoven nach. Er führte Partien Beethovens so unmittelbar auf Partituren Mozarts zurück, dass man von bewussten Übernahmen Beethovens ausgehen muss. Vermutlich sind dem jungen Komponisten Werke Mozarts bewusst als erfolgreiche Vorlagen unterbreitet worden und die Musik Mozarts als ein ideales Arbeitsergebnis hingestellt worden.

Die zweite Sektion, moderiert von Christine Siegert und von Stephan Schulmeistrat, Deutsches Musikinformationszentrum, beleuchtete Bonner Musikerfamilien. Birgit Lodes, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, konnte krankheitshalber nicht selbst kommen – Elke Hager, Wien, verlas deren Manuskript. Lodes entfaltete tief verästelte Netzwerke der Hofmusikerfamilien in Bonn, ausgehend von Johann Peter Salomon, der seit 1781 in London wirkte und von dort aus das Londoner Konzertwesen, die Wiener Meister und auch Bonner Netzwerke verflocht. Das Netzwerk wurde zur Überlebenshilfe der
Musikerfamilien auf dem freien Musikmarkt.

Das Referat von Matthias Brzoska, Folkwang Universität der Künste Essen, über Antoine Reicha, Beethoven und die „Nobilitierung der Variation“ sollte per Videoübertragung erfolgen, weil Brzoska sich zu der Zeit in den USA aufhielt, doch die technische Verbindung wollte nicht zustande kommen.

Louise Bernard de Raymond, Université de Tours, und Fabio Morabito, University of Alberta, Edmonton, stellten ihre aufwändige Entschlüsselung des Netzwerks von Anton Reicha vor, das sie in einer Buchpublikation jüngst beschrieben haben. Ausgehend von einem zuvor unbekannten Brief Giacomo Meyerbeers an Reicha vom Mai 1835 analysierten sie die Beziehungen der vernetzten Musiker. Auch ein Schreiben Maximilian Stadlers erwies sich als indizienreich in Hinsicht des Musikerbeziehungsgeflechts.

Guido Johannes Joerg näherte sich Ferdinand Ries als einem Bearbeiter Beethovens, speziell von dessen Dritter Sinfonie, der „kitzlichsten aller Beethoven-Sinfonien“, so Ries. Jörg zeigte Ries als hingebungsvollen und stolzen Schüler und Adlatus Beethovens, der sich dessen Werk verpflichtet fühlt, andererseits aber auch als Arrangeur, der Aufträge Simrocks suchte, und in den Bearbeitungen seine persönliche Handschrift einbrachte. Die Sinfonie Es-Dur „Eroica“ ist schon bald nach ihrer Uraufführung als Klavierquartett erfolgreich verbreitet worden, dessen Arrangeur blieb allerdings anonym. Es war nicht Ries, dessen eigenes Arrangement erst zwanzig Jahre nach seinem Tod gedruckt wurde. Bis heute werden die beiden Arrangements verwechselt. Unterscheidungsmerkmal sind u.a. zwei Takte am Schluss der Exposition des Kopfsatzes, die Beethoven in späterer Arbeit am Werk tilgte und die auch in der anonymen
Bearbeitung fehlen. Bei Ries, der eine Vorlage aus seiner Zusammenarbeit mit Beethoven heraus verwendete, sind die Takte erhalten.

Auch Richard Sänger, Beethoven-Haus, widmete sich Netzwerken, namentlich solchen um Beethoven, um die Familie Ries und um den ersten Ehrenpräsidenten des Beethoven- Hauses, Joseph Joachim, herum. Zeugen von Netzwerken sind etwa Widmungen von Kompositionen. Franz Ries widmete seine Suite für Violine und Klavier op. 26 von 1872 dem seinerzeit berühmten Violin-Virtuosen Joachim. Ries’ Partner Hermann Erler bot Joachim im Januar 1873 an, dass Ries und er ihm das neue Werk vorspielen würden. Eine Antwort ist nicht bekannt, doch dem Geflecht der Beziehungen kann man fortan nachspüren. Zu den Indizien zählt ein Brief von Ries vom 2. April 1875 an Joseph Joachim, der in vielen Details Aufschluss über dieses Musikernetzwerk gibt.

Die dritte Sektion wandte sich, moderiert von Beate Kraus, Beethoven-Haus, der Bonner Hofkapelle und deren Musik zu. Elisabeth Reisinger, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, erforschte die Musikerinnen an der Hofkapelle. Diese besetzte die hohen Stimmen mit zumeist sechs Sängerinnen, die an der Tafel, in der Kirche und in der Kammermusik zu singen hatten. Einige stammten aus Bonn, eine aus Mainz, eine aus Koblenz. Auch als Solistinnen wurden sie eingesetzt, etwa in der Messe in Es-Dur von Davide Perez oder in der Motette „Leves aurae“ von Andrea Lucchesi. Der Kurfürst verstärkte das
Orchester nach 1789, das Vokal-Ensemble hingegen nicht, die Klang-Balance muss sich deutlich geändert haben. Reisinger sieht die Forschung bezüglich der Musikerinnen als einen Ausgangspunkt zu weiteren Forschungen in Hinsicht des Bonner Hofs (Organisation, Individuen), des Hofs auch im Vergleich zu anderen Höfen sowie auf einer Makroebene zu generellen Erkenntnissen bezüglich Aufführungspraxis, Ästhetik und der Partizipation an musikalischen Aufführungen. Wichtig ist dabei für die Forschung auch die Münsteraner Domkapelle, die durch die Personalunion der Dienstherren der Bonner eng verbunden war. Sie liefert Dokumente, die auch Aufschluss über die Bonner Kapelle geben.

Zwei Referate näherten sich dem Werk und der Überlieferungslage zu Andrea Lucchesi, und beide Referentinnen, Anna Sanda und Christine Siegert, stehen wie auch Elisabeth Reisinger in Verbindung mit einem ergebnisreichen Forschungsprojekt zu den kurkölnischen Musiksammlungen bei Erzherzog Maximilian Franz, bei dem die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und das Beethoven-Haus kooperieren. Unter der Ägide von Birgit Lodes geht eine Gruppe von Wissenschaftler’innen den Facetten der Bestände nach. Anna Sanda ist dabei die Spezialistin für Liturgie und Musikpraxis. In der Tagung näherte sie sich den kirchenmusikalischen Kompositionen für die Advents- und Weihnachtszeit und untersuchte dabei die Arbeit Andrea Lucchesis.

Christine Siegert fokussierte hingegen auf eine Kantate, die Hofkapellmeister Lucchesi zur Weihe von Maximilian Franz zum Erzbischof von Köln komponiert hatte. Ihr Text ist beziehungsreich aus verschiedenen Texten des Wiener Hofdichters Pietro Metastasio zusammengesetzt, so dass der von Lucchesi vertonte Text auf verschiedene dynastische Feierlichkeiten des Wiener Kaiserhofs anspielt und die Maximilians Familie gleichsam virtuell auf die Bühne bringt. Beethoven vertonte vor diesem Hintergrund ein Rezitativ aus einer weiteren Kantate Metastasios (Skizze Beethoven-Haus Bonn, BH 117) und näherte sich damit der italienisch geprägten Festkultur.

Die abschließende Sektion verfolgte, moderiert von Robert v. Zahn, Landesmusikrat NRW, Zirkel, Lesegesellschaften, Verlagsunternehmen und Presserezeption im Rheinland um 1800. Joanna Cobb Biermann, University of Alabama, entblätterte die Zirkel, Logen und Lesegesellschaften, die sich in Bonn vor und nach 1800 bildeten und ihre politischen Zielsetzungen. Die erste Freimaurerloge in Bonn bestand aus elf Personen, von denen mit Simrock, Neefe und Ries immerhin drei Musiker waren. Simrock war der politisch radikalste. Aus verschiedenen Geheimbünden heraus veröffentlichte er Ideen der politischen
Partizipation, die ihm und weitere schließlich die Ehre eintrugen, in einem Katalog der „Vaterlandsverräter“ eingetragen zu werden. Beethoven befand sich in seiner Jugend offensichtlich in einem politischen Spannungsfeld seiner Umgebung.

Matthias Wessel, Studienseminar Minden, verfolgte die Aktivitäten des Magazins de Musique, das Simrocks Kooperationspartner Kuntze in Beuel betrieb. War Kuntze ein gestaltender Partner, der immerhin auch 19 eigene Ausgaben veröffentlichte, oder betrieb er ein Schattenunternehmen, das es Simrock ermöglichte, am französischen Urheberrecht vorbei Drucke herauszubringen? Wessel präsentierte eine detailreiche Spurensuche.

Der Pianist Ivan Grbesa, Kunst- und Musikschule Brühl, hat zwei Jahre lang die Musikberichterstattung des Bonner Wochenblatts in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts untersucht. Wie zeigt sich dort die Wirkung der Werke Beethovens und seiner rheinischen Zeitgenossen? Neefe, die Ries-Familie und natürlich Beethoven selbst wurden viel gespielt. Es gab keinen Einbruch der Popularität der Musik Beethovens in den Jahren nach seinem Tod, so Grbesa, doch es wurden viele Werke gespielt, die später weniger im Fokus der Öffentlichkeit standen.

Zum Rahmenprogramm der Tagung gehörte die Sonderausstellung „Kleine Denkmäler. Beethoven in der Medaillenkunst“. Zentraler Bestandteil der Ausstellung ist die von der Numismatischen Gesellschaft Bonner Münzfreunde e.V. betreute Beethoven-Medaillen-Edition des Jubiläums-Jahrs, wobei die Werke von Grit Bergner und Lucia Maria Hardegen explizit Beethovens Jugendzeit in Bonn visualisieren. Weitere Ausstellungsstücke dokumentieren ebenfalls Beethovens Verbindung nach Bonn, so etwa die von Theodore Gruner und Manfred van Rey gestalteten Gedenkmedaillen oder der von Beethoven seinem
Bonner Jugendfreund Franz Gerhard Wegeler gewidmete Porträtstich von Friedrich Dürck. Dass ein Großteil der Leihgaben für die Dauerausstellung aus der Sammlung Offermann aus Bensberg stammt, zeigt nicht zuletzt die Bedeutung regionaler Sammler für die Beethoven-Rezeption. Ein Sonderabend der Ausstellung während der Tagung bot auch ein musikalisches Programm u.a. mit dem Capriccio „Die Wut über den verlorenen Groschen“ und der Arie des Rocco „Hat man nicht auch Gold beineben“ (Dmitry Gladkov, Klavier; Joel Urch, Bariton).

Die Abschlussdiskussion zur Tagung legte der Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte mindestens eine weitere Tagung nahe. Gezeigt hatte sich, dass es in Bezug auf die Musiker’innennetzwerke noch etliche Desiderate gibt und das an vielen auch gearbeitet wird. Vor allem die Arbeit der Frauen, zumal die der Sängerinnen in der Bonner Hofkapelle, ist in mancher Hinsicht unklar.

Robert v. Zahn, Köln, 21.6.2022

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